Kaufleute

Autor: Prof. Dr. Rolf Kießling

Stand/Quelle/Datum: 2. Auflage Druckausgabe

  • Der Begriff umfasst eine Vielzahl von Gruppen als Träger des Augsburger Fernhandels. Es liegt nahe, die früheste fassbare Gruppe von ’mercatores’ in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts als bischöfliche Ministerialen zu deuten. Der Aufstand der Stolzhirsch von 1303 markiert bereits den Aufstieg einer neuen Gruppe von Familien, die in der Zunfterhebung von 1368 wohl führend waren und die Teilhabe am Stadtregiment anstrebten. Die damals gebildete Kaufleutezunft wurde jedoch nicht zur umfassenden Organisation; bald danach trieben auch Familien des Patriziats (Gossembrot, Welser etc.) wieder Handel; daneben existierten Handelszünfte wie die der Kramer, Salzfertiger und der ’Emporkömmlinge’ aus der Weberzunft (Arzt, Fugger etc.; Barchent); auch die Kürschner (Hörbrot) und Gewandschneider (Hoechstetter) spielten als Träger des Handels im 15./16. Jahrhundert eine wesentliche Rolle. Deshalb war die Kaufleutestube als Ort der Zusammenkünfte nicht so entscheidend wie die ständisch übergreifende Herrenstube, die in der städtischen Blütezeit als ’Börse’ galt, wobei die teilweise im Geschlechterschub von 1538 integrierten Mehrer die Verbindung herstellten (Patriziat). Nach der Verfassungsänderung 1548 bildeten die Kaufleute seit 1555 wieder einen eigenen Stand mit besonderen Rechten. Die enge familiäre Verflechtung war nicht nur ein Zeichen gesellschaftlicher Abgrenzung als wirtschaftliche Elite, sondern förderte auch die Organisationsform der (Familien-) Handelsgesellschaft als frühe Form der Firmenbildung wohl seit dem 14. Jahrhundert. Neben dem Aufstieg von unten rekrutierte sich die Kaufleuteschaft auch aus zugewanderten Familien bzw. Familienzweigen vor allem benachbarter Reichsstädte (u. a. Ulm, Memmingen, Nördlingen), aber auch Lauingen und München, die dem Sog der wachsenden Zentralität Augsburgs folgten, eine Tendenz, die sich in der Zeit der konfessionellen Spaltung noch verstärkte. Die Verbindung von traditionellem Fernhandel mit dem Bergbau- und Finanzgeschäft seit der Mitte des 15. Jahrhunderts erweiterte den Aktivitätsradius endgültig zur oberdeutschen Hochfinanz, während andererseits der Erwerb von ländlichem Grundbesitz vielfach den Weg in die Aristokratisierung öffnete. Neue Impulse und Rekrutierungen von außen ergaben sich nach dem Dreißigjährigen Krieg im lukrativen Silberhandel und Wechselgeschäft sowie im 18. Jahrhundert durch den Kattundruck, dessen Träger 1737 denen des Verlags und Großhandels gleichgestellt wurden.

Literatur:

Pius Dirr, Kaufleutezunft und Kaufleutestube in Augsburg zur Zeit des Zunftregiments, in: ZHVS 35 (1909), 133-151

Anton Mayr, Die großen Augsburger Vermögen 1618 bis 1717, 1931

Jakob Strieder, Zur Genesis des modernen Kapitalismus. Forschungen zur Entstehung der großen bürgerlichen Kapitalvermögen am Ausgange des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit, zunächst in Augsburg, 21935

Götz von Pölnitz, Augsburger Kaufleute und Bankherren der Renaissance, in: Augusta 955-1955, 1955, 187-218

Friedrich Blendinger, Die wirtschaftlichen Führungsschichten in Augsburg 1430-1740, in: Führungskräfte der Wirtschaft in Mittelalter und Neuzeit 1, 1973, 51-86

Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, 21985, 166-171 (Peter Lengle), 171-181 (Rolf Kießling), 258-301 (Hermann Kellenbenz), 468-480 (Peter Fassl)

Peter Burschel / Mark Häberlein, Familie, Geld und Eigennutz, in: Kurzweil, Textband, 1994, 48-65

Mark Häberlein, Brüder, Freunde und Betrüger, 1998.