Augsburger Kreidekreis

Autor: Dr. Jürgen Hillesheim

Stand/Quelle/Datum: 2.7.2013

  • Der Augsburger Kreidekreis, eine Erzählung von Bertolt Brecht, erschien 1948 in der Sammlung ’Kalendergeschichten’. Brecht schrieb den Augsburger Kreidekreis 1940 im schwedischen Exil. Im Mittelpunkt steht die Eltern-Kind-Beziehung in der bürgerlichen Gesellschaft. Diese ist, vom Standpunkt des Marxisten aus betrachtet, weniger emotional bestimmt als sachlich geregelt. Kinder sichern den Familienbesitz, sie haben in erster Linie eine soziologische Funktion zu erfüllen. Das Kreidekreis-Motiv, das Brecht verwendet, hat gleichermaßen Vorbilder im Alten Testament (1. Kön. 3, 16-28) wie in der chinesischen Literatur. Brecht benutzt es im den Vorlagen entgegengesetzten Sinn: Nicht die leibliche Mutter geht als ’Siegerin’ aus der Probe hervor, sondern die Magd, deren Zuwendung dem Kind gehört. Hierin kommt Brechts marxistischer Ansatz zum Ausdruck, der davon ausgeht, dass der Mensch nicht durch die Abstammung, sondern durch sein sozio-kulturelles Umfeld geprägt wird. Die Beschreibung des Goldenen Saals im Augsburger Rathaus, in dem der Richter sein salomonisches Urteil fällt, ist im Augsburger Kreidekreis keineswegs die einzige Reminiszenz an die Vaterstadt des Dichters. Die gesamte Handlung vollzieht sich vor ’heimatlichem’ Hintergrund, von verschiedenen Schauplätzen des Geschehens bis zur Volkstümlichkeit des Richters. Die Erzählung ist eine Vorstufe zu Brechts 1944/45 entstandenem Drama ’Der kaukasische Kreidekreis’, das als eines seiner bedeutendsten gilt.

Literatur:

Kaspar H. Spinner, Bert Brecht: Der Augsburger und der Kaukasische Kreidekreis, in: Große Werke der Literatur 8, 2003, 187-199

Jürgen Hillesheim, Lessings Nathan, Hebbels Agnes Bernauer und viel Lokalkolorit. Bertolt Brechts Erzählung Der Augsburger Kreidekreis, in: Wirkendes Wort 58 (2008), 259-269.